Textadventures: Computerspiele als digitale Literatur

Artikel verfasst von Julia Sikora

1 Einleitung

Mysteries challenge the reader’s powers of deduction; they are games in the form of stories, in which the reader competes with the author, matching wits in the game of “who done it” and how.
(http://www.malinche.net/interactivefictionasliterature)     
   

Auch Textadventures sind eine Form von Literatur, bei der der Rezipient teilweise zum Produzenten wird. Es handelt sich dabei um textbasierte Computerspiele, bei denen der Spieler also partizipierend am „Schreiben“ der Geschichte beteiligt ist, denn er kann bis zu einem gewissen Grad den Verlauf der Handlung beeinflussen. Diese Computerspiele fallen in die Kategorie der Interactive Fiction (vgl. www.ifwizz.de), da der Spieler aktiv in das Geschehen eingreifen kann, indem er zum Beispiel Befehle tippt oder sich durch Anklicken von Hyperlinks für einen Fortgang der Geschichte entscheidet. Meistens muss der Spieler im Verlauf der Handlung Rätsel lösen, er muss Hinweise erkennen, die ihm die nächsten sinnvollen Schritte im Spiel andeuten (vgl. http://maher.filfre.net/if-book/if-1.htm). Der Spieler interagiert also in der auf Worten aufgebauten Welt mit den sich dort befindenden Objekten und Charakteren und der Computer gibt Feedback in Form von Beschreibungen und Ergebnissen der vorangegangenen Handlungen des Spielers. Wie diese Form von Literatur nun aufgebaut ist und welchen literarischen Wert sie aufweisen kann, versuche ich in diesem Beitrag zu behandeln.

2  Entstehung

Textadventures entstanden in den Anfängen der Computerspielindustrie, in den 1970er Jahren, als die Rechner noch nicht ausreichend leistungsfähig waren, um Graphiken darzustellen (vgl. http://en.wikipedia.org/wiki/Interactive_fiction). Deswegen wurden Spiele populär, die rein anhand von Texteingabe und Textausgabe funktionieren und eine fiktionale Welt ausschließlich mithilfe von Worten aufbauen. William Crowther und Don Woods entwickelten an der Stanford University das erste Textadventure Game mit dem Namen Adventure. Der Spieler befindet sich dabei in einem Höhlenlabyrinth und muss einen Schatz finden (vgl. http://www.interactive-fiction.de). Die Welt der verwinkelten Höhlengänge erinnert ein bisschen an Jules Vernes Reise zum Mittelpunkt der Erde (1864). Crowther war nebenbei auch als Höhlenforscher tätig, was die Beschreibungen der Höhlen im Spiel sehr realistisch wirken lässt (vgl. http://www.malinche.net/interactivefictionasliterature).

3 Sprachliche Merkmale

Nach der Texteingabe wird der Parser des Spiels aufgerufen, der die Befehle des Spielers analysiert und interpretiert. Kennt der Parser einen Befehl nicht, so wird der Spieler in der Textausgabe darauf aufmerksam gemacht. Die Anzahl der verwendeten Lexik wird zunächst einmal dahingehend eingeschränkt, dass sich der Spieler hauptsächlich auf Objekte im Spiel bezieht, die für ihn in seiner fiktionalen Umgebung sichtbar sind. Dies sind genau jene Worte, die der Computer zuvor in seiner Textausgabe für die Beschreibung der virtuellen Umgebung verwendet hat.
In den meisten Spielen werden die Befehle in Form von Imperativsätzen oder Infinitivkonstruktionen eingegeben. Die Syntax sieht dabei folgendermaßen aus: Verb in Imperativ- oder Infinitivform +(Präposition) + (Adjektiv) + Objekt, wie zum Beispiel: „nimm schlüssel“ (Imperativform + Objekt; aus: Adventure – deutsche Übersetzung) oder „geh durch torbogen“ (Imperativform + Präposition + Objekt; aus: Von der Traufe in den Regen – vgl. Abbildung 3 unten). Ein anderes Beispiel wäre: „hit hideous troll“ (aus: The Hobbit), wobei man hier nicht sagen kann, ob es sich an einen im Imperativ gerichteten Befehl an die Spielfigur handelt oder um eine Ellipse, die die eigene Handlung beschreibt. Die Syntax ist somit ein Beispiel dafür, dass gewisse Regeln vorgegeben sind, innerhalb jener sich der Leser/Spieler bewegen muss. Wie in anderen Fantasy-Abenteuern kann der Autor also seine Regeln nach Belieben aufstellen, muss diese dann aber konsequent beibehalten, um glaubwürdig zu bleiben (vgl. Koller 2001).
Grundsätzlich hat man als interagierender Spieler eines Textadventures das Gefühl einer nicht-linearen Handlung zu folgen, da man den Weitergang selbst bestimmen kann. Laut Chris Crawford, einem Spielemacher, der sich mit dem Thema „Interactive Storytelling“ beschäftigte (vgl. im folgenden Absatz Krug 2010), gibt es vorrangig zwei Formen des Aufbaus eines interaktiven Spiels: Die sogenannten Branching storytrees (vgl. Abbildung 1), bei denen es durch die Entscheidungen des Rezipienten zu immer mehr Verästelungen kommt, sind für den Autor kompliziert und aufwendig zu erstellen. Deswegen wird diese nicht-lineare Abfolge oft nur vorgetäuscht und eigentlich durch das Konzept der foldback schemes ersetzt (vgl. Abbildung 2). Dabei wird die Handlung, die zuerst je nach Entscheidung des Spielers in eine andere Richtung verläuft, an Knotenpunkten wieder zusammengeführt und der Interagierende kann das Geschehen nur scheinbar beeinflussen. Meist wird das aber erst beim zweiten Durchlauf der Handlung deutlich.

BildAbbildung 1: branching storytree

BildAbbildung 2: foldback scheme

4 Analytischer Vergleich zweier Beispiele

Beim Beispiel in deutscher Sprache (vgl. Abbildung 3) umfasst die Textausgabe des Computers auffällig detaillierte Beschreibungen. Die Befehle werden im Imperativ verfasst, durch die umfassenden Informationen fällt es schwer, die für den weiteren Verlauf der Handlung relevanten Details zu erkennen. Im Gegensatz dazu ist beim spanischen Textadventure (vgl. Abbildung 4) die Eingabe der Verben sowohl mittels Imperativ als auch in Infinitivform möglich. Die Umgebung wird in kurzen, einfachen Sätzen beschrieben, das Weitergehen ist immer in nur in Richtung der angegebenen Himmelsrichtungen möglich. Dadurch, dass das „Blickfeld“ des Spielers auf die erwähnten Objekte eingeschränkt ist, ist auch die Auswahl der Handlungsmöglichkeiten sehr beschränkt. In La casa del olvido werden hauptsächlich Ellipsen und Aufzählungen/Akkumulationen als Stilmittel zur kurzen, knappen Beschreibung verwendet. Hingegen schmücken im deutschen Textadventure sehr viel mehr rhetorische Stilmittel (neben der Ellipse) die Beschreibungen aus. Der Titel, „Von der Traufe in den Regen“, ist eine veränderte, sprichwörtliche Redensart. Personifikationen, wie „der Mond lächelt dir hilflos zu“ oder „der Sturm wütet“ findet man im Text, außerdem „ein schmaler Bürgersteig am Rande einer breiten, leeren Straße“ als Antithese, weitere Redewendungen wie „mit den Gedanken spielen“ oder „Gefahr laufen“, eine Hyperbel („man fraß, man trank..“) und „es brennt, es brennt fürchterlich“ sowohl als Anapher als auch als Klimax.

Um den Handlungsverlauf eines Textadventures noch kurz näher zu betrachten, verwende ich das Beispiel Von der Traufe in den Regen. Ein Wendepunkt tritt ganz zu Beginn der Geschichte auf, wenn der Protagonist vom Dach fällt. Am Höhepunkt befindet man sich am Ende (sowohl was den Handlungsverlauf als auch was den Handlungsort betrifft), wenn man das Dach des Gebäudes wieder erreicht hat. Man spielt selbst den Protagonisten (Nestore Novevite), weitere Personen sind deine beiden Freunde (Giacomo und Umberto) auf dem Dach, ein betrunkener Mann auf der Straße und eine junge Frau im Aufzug. Es gibt keinen Antagonisten, die Herausforderung für den Spieler ist es, den Weg in dem Gebäude, von dem er gestürzt ist, nach oben zu finden. Nachdem man das Spiel ein weiteres Mal durchgespielt hat, bemerkt man, dass die Handlungsstränge zwar in verschiedene Richtungen laufen können, sich jedoch nach einigen Spielzügen wieder kreuzen (z.B.: entweder folgst du dem betrunkenen Mann ins Gebäude oder zu musst selbst herausfinden wie du ins Gebäude gelangst).

Von der Traufe in den Regen

BildBildAbbildung 3: Von der Traufe in den Regen – Gameplay

La casa del olvido

BildAbbildung 4: La casa del olvido – Gameplay

5 Schlusswort

Zusammenfassend kann die literarische Qualität von Textadventures, wie an den Beispielen gut zu erkennen, sehr unterschiedlich sein. Grundsätzlich besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen Büchern bzw. Hypertexten und Textadventures darin, dass die Interaktion des Rezipienten sich bei Ersterem auf binäre Entscheidungen beschränkt (blättern oder nicht, klicken oder nicht) und bei Textadventures viel komplexer ist. Deshalb ist eventueller literarischer Qualitätsverlust auf die Rollenverschiebung vom Leser zum Schreiber-als-Spieler und vom Autor zum Programmierer-als-Mitspieler zurückzuführen (vgl. Kamphusmann 2002). Der verwendete Sprachstil ist also „als Reflex auf die zeitliche Nähe und damit verbunden auf orale Kommunikationsformen mit ihren schnelleren Rhythmen anzusehen“ (Kamphusmann 2002: 144f.)

6 Bibliographie

Kamphusmann, Thomas (2002): Literatur auf dem Rechner. Stuttgart: Metzler.
Koller, Alexander/Debusmann, Ralph/Gabsdil, Malte/Striegnitz, Kristina (2001): Put my galakmid coin into the dispenser and kick it: Computational Linguistics and Theorem Proving in a Computer Game. Saarbrücken: Hermes Science Publishing LTD
Krug, Dominik (2010): Interaktive Drehbücher für digitale Welten. Wie Videogames traditionelle Erzählweisen erneuern. Hamburg: Diplomica Verlag GmbH.

Internetquellen

Primärquellen

Von der Traufe in den Regen: http://ifwizz.de/von-der-traufe-in-den-regen-%282007-de%29.html (Stand: 29.01.2013)
La casa del olvido: http://ifwizz.de/la-casa-del-olvido-%282003-es%29.html (Stand: 29.01.2013)
Abenteuer: http://ifwizz.de/abenteuer-%281998-de%29.html (Stand: 29.01.2013)
The Hobbit: http://c64s.com/game/418/hobbit,_the/ (Stand: 29.01.2013)

Sekundärquellen

Interactive Fiction as Literature: http://www.malinche.net/interactivefictionasliterature (Stand: 29.01.2013)
What is Interactive Fiction?: http://maher.filfre.net/if-book/if-1.htm (Stand: 29.01.2013)
Interactive Fiction: http://www.interactive-fiction.de/ (Stand: 29.01.2013)
Interactive Fiction: http://www.ifwizz.de/ (Stand: 08.02.2013)
Interactive Fiction: http://en.wikipedia.org/wiki/Interactive_fiction (Stand: 08.02.2013)
Parser: http://www.itwissen.info/definition/lexikon/Parser-parser.html (Stand: 29.01.2013)

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: branching storytree (vgl. Krug 2010: 15)
Abbildung 2: foldback scheme (vgl. Krug 2010: 15)
Abbildung 3: Von der Traufe in den Regen – Gameplay (vgl. http://ifwizz.de/von-der-traufe-in-den-regen-%282007-de%29.html)
Abbildung 4: La casa del olvido – Gameplay (vgl. http://ifwizz.de/la-casa-del-olvido-%282003-es%29.html)

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